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Nachruf: Zum Tod von Prof. Dr. Fritz Sennheiser

Nachruf: Zum Tod von Prof. Dr. Fritz Sennheiser

„Geld – nur eine Rechengröße"

 

Prof. Dr. Fritz Sennheisers Weg als Unternehmer gehörte zu den wohl außergewöhnlichsten Karrieren in Deutschland: Aus bescheidenen Anfängen mit sieben Mitarbeitern in einem ehemaligen Universitätslabor ist der international operierende Audiospezialist Sennheiser electronic GmbH & Co. KG geworden. Das Familien-unternehmen setzt inzwischen mit weltweit über 2100 Mitarbeitern mehr als 385 Millionen Euro (2008) um. In einem dichten Vertriebsnetz kümmern sich eigene Tochtergesellschaften und langjährige Vertragspartner weltweit um die Kunden.

 

Sennheiser hat Produktionsstätten in Deutschland, Irland und den USA, die Produktionsschwerpunkte liegen auf Mikrofonen, Kopfhörern, drahtlosen Mikrofonen, Konferenz- und Informationsystemen, Headsets und Audiologie-produkten. Außerdem bietet das Unternehmen umfangreiche Beratungs- und Planungs-Dienstleistungen bei Projekten weltweit an. Zur Sennheiser-Gruppe gehören auch der Studiospezialist Georg Neumann GmbH, Berlin, und das Joint Venture Sennheiser Communications (Headsets für PC, Office und Call Center).

 

Von der Gartenarchitektur zur Nachrichtentechnik

 „Als Elfjähriger erlebte ich die Einführung des Radios. Meinen eigenen Empfänger habe ich aus einfachsten Mitteln zusammengebastelt, aus einer Schiebespule, einer Wolframspitze, einem Kristall und einer 20 Meter langen Hochfrequenz-antenne," erinnerte sich Fritz Sennheiser einmal. Trotz der Begeisterung für Technik gehörte sein Herz den Gärten und Pflanzen: Nach dem Abitur in Berlin wollte er zunächst Gartenarchitekt werden. Doch die Berufsaussichten waren in der Zeit der Depression schlecht, und so entschied er sich für seine „zweite Liebe", ein Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik an der Technischen Universität Berlin.

 

Am Heinrich-Hertz-Institut, dem „Mekka der Nachrichtentechniker", schrieb Fritz Sennheiser seine Diplomarbeit – und entwickelte gemeinsam mit seinem späteren Doktorvater Prof. Dr. Oskar Vierling und Kommilitonen eine Hall-Apparatur, die 1936 während der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Berlin eingesetzt wurde. Die Spiele sollten feierlich mit einem Orgelstück eröffnet werden, doch wie den Hall einer großen Kirche im Freien erzeugen? Dazu brachten die Institutsmitarbeiter ihre jüngste Entwicklung, eine elektronische Orgel, ins Olympia-Stadion und bauten einen Flügel zu einer Hall-Apparatur um, damit das Stück im Stadion so gut wie in einer großen Kirche klingen konnte.

 

Nach seinem Diplom arbeitete Fritz Sennheiser als Oberingenieur am Institut. Als Dr. Vierling 1938 einen Ruf an die Technische Hochschule Hannover erhielt, unterstützte ihn Fritz Sennheiser dort beim Aufbau des Instituts für Hochfrequenztechnik und Elektroakustik. Während des Krieges arbeiteten Sennheiser und sein Chef auf dem Gebiet des Chiffrierwesens, der Funkübertragung verschlüsselter Nachrichten. Fritz Sennheiser promovierte 1940 und übernahm die Vorlesungen von Prof. Dr. Vierling, als der ein zweites Institut in Süddeutschland aufbaute. Der Forschung und Lehre sollte Fritz Sennheiser auch als erfolgreicher Unternehmer bis 1980 durch seine Honorarprofessur an der Universität Hannover verbunden bleiben.

 

Die Anfänge in Wennebostel

 1943 wurde das Institut für Hochfrequenz und Elektroakustik in Hannover ausgebombt. Nach intensiver Suche fand sich in Wennebostel (heute Teil der Gemeinde Wedemark) ein Ausweichquartier für die Laborübungen. Die rund 50 Institutsmitarbeiter erlebten hier das Kriegsende, danach kehrten die meisten zu ihren Familien zurück, denn das bisherige Arbeitsgebiet Chiffriertechnik wurde von den Alliierten unter Todesstrafe gestellt.

 

Zurück blieben nur sieben Mitarbeiter aus der Region und der stellvertretende Institutsleiter Fritz Sennheiser. Und weil der für „seine Leute" Verantwortung empfand, wagte er den Neuanfang und gründete in den Institutsräumen den Handwerksbetrieb „Laboratorium Wennebostel" („Labor W"). Doch ganz so einfach ging das nicht: Das Gebäude wurde von einer englischen Nachrichtentruppe besetzt, Fritz Sennheiser musste alle Schlüssel aushändigen. Als die Truppe eines Tages abgelöst werden sollte, wurde ein Schild angebracht, das das Betreten der Räume unter Todesstrafe stellte.

 

Doch die neue Truppe ließ auf sich warten. „Wir sahen uns das eine Zeitlang an und fragten uns dann, wie ernst das wohl mit der Todesstrafe gemeint sei. Eines Nachts habe ich dann das Plakat entfernt. Am nächsten Tag haben alle gestaunt, dass da kein Schild mehr war. Da ich noch einen Zweitschlüssel hatte, dachten wir uns, dass wir auch hineingehen könnten. So hat es damals angefangen."

 

Die ersten Produkte

 Aus den „Überbleibseln" der Institutsgeräte bauten die findigen Entwickler Röhrenvoltmeter, die Fritz Sennheiser Siemens Hannover zum Verkauf anbot. Siemens, von den eigenen Werken abgeschnitten, war hoch erfreut und plazierte Aufträge für weitere Messgeräte. Die hervorragende Qualität der „Labor W"-Produkte sprach sich bei Siemens herum: Die Niederlassung Karlsruhe bat Sennheiser, ein dynamisches Mikrofon nachzubauen, das DM 1. Zunächst kopierten die HF-Spezialisten nur, dann beginnen sie, sich in die Materie zu vertiefen und präsentierten Siemens schon bald ein eigenes Mikrofon: das MD 2.

 

Geburtsstunde der Sennheiser-Mikrofone

 Der Urahn aller Sennheiser-Mikrofone war geschaffen. Auch außerhalb der Siemens-Welt wurde das MD 2 zum Verkaufsschlager. Wichtige Abnehmergruppe: die höchst anspruchsvollen Rundfunkanstalten. Es folgte das MD 3, auch als „unsichtbares Mikrofon" bezeichnet, weil sich der eigentliche Wandler unterhalb eines sehr schlanken Halses befand. Mit dem MD 4 stellte Sennheiser 1951 sein erstes Kompensationsmikrofon vor, von Marktschreiern wegen seiner Robustheit bei „nicht bestimmungsgemäßer Verwendung" auch „Wanzenhammer" genannt.

 

1953 folgte das MD 21, ebenfalls eine Legende und heute noch im Programm. Als „dienstältestes" Reportermikrofon hat es viele historische Momente und Persönlichkeiten begleitet, so z.B. John F. Kennedy oder Louis Armstrong. Das banhnbrechende „Tele-Mikrophon" MD 82 (1956) machte es möglich, Schall punktgenau auf große Entfernung aufzunehmen; das Rohrrichtmikrofon ging auf ein Sennheiser-Labormuster aus dem Jahre 1949 zurück.

 

Rasantes Wachstum

 Ende der 50er Jahre lag der Umsatz der jungen Firma bereits bei stolzen 9,9 Millionen Mark. Geplant oder sogar angestrebt hatte Fritz Sennheiser diesen Erfolg nicht. „In den ersten Jahren wollte ich mit dem Labor nur so viel Geld verdienen, dass wir alle unsere Familien ernähren konnten", sagte Fritz Sennheiser. „Später waren wir dann zum Wachstum geradezu gezwungen, um die Konkurrenz in Schach halten zu können."

 

1958 wurde Labor W in Sennheiser electronic umbenannt, denn ein kleines Labor war die Firma schon lange nicht mehr. Beschleunigt wurde die Namensänderung durch einen Bericht des australischen Handelspartners: Der damalige australische Ministerpräsident weigerte sich nämlich, über ein Sennheiser-Mikrofon zu sprechen, weil er den Schriftzug Labor W entdeckt hatte und das Mikrofon für ein Exemplar der gegnerischen Labor Party hielt.

 

Bahnbrechende Produkte

 Die Sennheiser-Ingenieure streckten ihre Fühler immer weiter in andere Bereiche der Elektroakustik und schließlich auch wieder in die HF-Technik aus. 1957 wurde das erste drahtlose Mikrofon des Unternehmens der Öffentlichkeit vorgestellt. Professor Dr. Fritz Sennheiser: „Es gab eine nette und kostenlose Werbung für uns im Fernsehen – und einen Gag für Peter Frankenfeld. Er hatte an dem drahtlosen Mikrofon ein langes Kabel befestigt. Dann hat er seine Witze gemacht und sich mehrmals darin verheddert. Daraufhin schnitt er kurzerhand das Kabel ab – und die Sendung ging so weiter. Das wurde überall herumerzählt, was uns sehr geholfen hat."

 

Die großen Samstagabend-Shows profitierten nicht nur von der drahtlosen Mikrofontechnik, sondern auch von den neuen Rohrrichtmikrofonen der MKH-Serie. Resultat: Großzügigere Einstellungen, weil das Mikrofon nicht mehr dicht beim Sprecher sein musste. Auch in Hollywood ist die Marke Sennheiser darum bald ein Begriff. Die Anerkennung dieser Leistung sollte 1987 erfolgen, als Prof. Dr. Fritz Sennheiser den „Scientific and Engineering Award", im Volksmund auch „Technischer Oscar" genannt, der „Academy of Motion Picture Arts and Sciences" für das Rohrrichtmikrofon MKH 816 erhält.

 

1960 setzte Sennheiser mit dem Studiomikrofon MD 421 einen weiteren Meilenstein. Neben seinem überragenden Klang profilierte sich dieses „Universalgenie" für Sprache und Gesang durch seine außergewöhnliche Robustheit. Auch dieses Mikrofon ist heute noch im Programm.

 

Der erste offene Kopfhörer der Welt

 „Die Ingenieure haben stets große Freiräume gehabt. Sie durften „spinnen". Häufig sind aus diesen Ideen die besten Entwicklungen und Produkte entstanden. Bedenken des Kaufmännischen Leiters, der vor allem den Ertrag im Blick hatte, wurden somit stets zuverlässig zerstreut... Denn schließlich verkauft ein Unternehmen nicht nur Produkte, sondern vor allem Ideen." Dieser Einstellung Fritz Sennheisers verdankte das Unternehmen die Entwicklung und Patentierung des ersten offenen Kopfhörers der Welt. Durch Herumspielen fand ein Ingenieur heraus, dass Kopfhörer – damals durchweg schwere, geschlossene Modelle – besser klingen, wenn man die Muscheln offen macht. Das Ergebnis war der HD 414, der noch heute an der Spitze der Bestsellerlisten für Kopfhörer liegt. „Der Erfolg des HD 414 hat uns dann doch überrascht, und dass Hersteller aus aller Welt mit uns Lizenzverträge für das Patent des „offenen Kopfhörers" abschlossen, das war schon interessant", resümierte Fritz Sennheiser.

 

„Sennheiser Goes Global"

 In den 70er Jahren trieb Fritz Sennheiser die Internationalisierung seines Unternehmens besonders stark voran. Vertriebspartner in Europa und in Übersee sorgten für ein weitgespanntes Netz. Gut 40% des Umsatzes wurden bereits im Ausland gemacht.

 

Währenddessen wurde die drahtlose Mikrofontechnik weiter perfektioniert: Rauschunterdrückungsverfahren, Diversity-Empfänger und Miniaturisierung machten Sennheiser-Drahtlostechnik zum Star auf allen Bühnen; Musicals profitierten ganz besonders von der unauffälligen Mikrofontechnik. 1975 wurde auch der Ton für den Endverbraucher drahtlos: Sennheiser stellt den Prototypen eines drahtlosen Kopfhörers auf Infrarotbasis vor. Und auch die Profimikrofontechnik wurde mit den neuen dauerpolarisierten Kondensatormikrofonen für den Heimgebrauch erschwinglich.

 

„Geld – nur eine Rechengröße"

 Seit der Unternehmensgründung gehörte für Fritz Sennheiser Unabhängigkeit zu den wichtigsten Werten. Deshalb lehnt er Übernahme- oder Beteiligungsangebote, beispielsweise aus Übersee, konsequent ab. „Geld war für mich stets nur eine Rechengröße", sagte er. Das Unternehmen blieb finanziell ungebunden, investierte nur, was die Eigenmittel erlaubten, und wuchs grundsolide aus eigener Kraft. Die endgültige Entscheidung, ein Familienunternehmen zu bleiben, fiel 1973: Fritz Sennheiser wandelt das Unternehmen in eine Kommanditgesellschaft um; sein Sohn Jörg Sennheiser wurde Kommanditist — und ab dem 1. März 1976 Technischer Leiter.

 

1982 zog sich Fritz Sennheiser schließlich im Alter von 70 Jahren aus dem aktiven Unternehmerdasein zurück und übergab seinem Sohn die Geschäftsführung. „Ich hatte mich auf den Ruhestand eingestellt – obwohl ich zugeben muss, dass ich gern noch länger weitergemacht hätte." Warum? „Weil es mir einfach Spaß gemacht hat und natürlich auch, weil der Erfolg immer da war. Ich habe immerhin zweieinhalb Jahre gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, nichts mehr entscheiden zu können…"

 

Doch natürlich blieb Prof. Dr. Fritz Sennheiser seinem Unternehmen verbunden, über die Gesellschafterversammlungen und regelmäßige Besuche im Unternehmen. Den Mitarbeitern wird Fritz Sennheiser als zurückhaltend-integrer, offener und verantwortungsbewusster Mensch in Erinnerung bleiben.

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