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Corona: Offener Brief des Deutschen Musikrates
Unter dem Motto „Notruf Musikwirtschaft - Perspektiven für die Kulturelle Vielfalt erhalten“ wendet sich der Deutsche Musikrat mit einem Offenen Brief an die Bundesregierung:
„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister,
sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister,
sehr geehrte Frau Kulturstaatsministerin,
in vielen Branchen, die von der Corona-Pandemie betroffen sind, gibt es Dank erster Lockerungen und passgenauer Hilfsmaßnahmen ein erstes Aufatmen. Dies gilt aber nur bedingt für die Musikwirtschaft, die sich weiterhin auf harte Zeiten einstellen muss. Die Branche ist schlicht davon abhängig, dass Musik komponiert, verlegt, produziert, aufgeführt, gehört und nicht zuletzt auch gekauft werden kann. Insbesondere das Live-Erlebnis, das von den Auswirkungen der Corona-Pandemie schwerstbetroffen ist, bildet, auch und gerade im digitalen Zeitalter, für viele Menschen die Basis für die nachfolgenden Nutzungen und ist Ausgangspunkt für viele Wertschöpfungsketten der Musikwirtschaft. Ein Live-Erlebnis kann es aber derzeit - und voraussichtlich bis weit in das kommende Jahr hinein - nicht bzw. nur sehr eingeschränkt geben. Konzerte, die Corona-bedingt ausgefallen sind, können nicht nachgeholt werden, und bei Einhaltung der notwendigen Hygienemaßnahmen wird die Durchführung von Konzerten bis auf weiteres nicht annähernd kostendeckend möglich sein.
Musikschaffende und ihre Partner wie Musikveranstalter, Agenturen, Labels, Musikverlage, Musikinstrumentenhersteller und Handel werden diese Zeit nur überleben, wenn die Bundesregierung handelt. Bereits am 25. März 2020 hatten die maßgeblichen Verbände der Musikwirtschaft den Einnahmeverlust bei einer 6-monatigen Dauer der Maßnahmen mit 5.456 Mio. Euro beziffert und ein Nothilfeprogramm gefordert. Die bisher aufgelegten nicht branchenspezifischen Nothilfeprogramme sind nicht hinreichend geeignet, die drohenden Insolvenzen gerade von kleinen und mittelgroßen Akteuren der Musikwirtschaft zu verhindern.
Insbesondere für den Musikbereich mit seiner strukturellen Heterogenität passt kein Einheitskonzept zur Linderung der desaströsen Folgen der Corona-Krise. In dieser Situation, für die es keine Blaupause gibt, wird die Vielfalt als Stärke des Musiklebens zu ihrer Achillesferse. Und wir sorgen uns um den Erhalt der kulturellen Vielfalt, die das Kulturland Deutschland wesentlich kennzeichnet. Mit jeder Spielstätte oder Veranstalterin, jeder Künstlervermittlerin, jedem Musiklabel, Musikverlag oder Musikinstrumentenhersteller, der die Krise nicht überlebt, wird auch ein Stück Musikkultur und Vielfalt unseres Landes sterben. Die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention zum Erhalt und Schutz der kulturellen Vielfalt, welche die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union als Staatengemeinschaft ratifiziert haben, zeichnet Leitlinien, die auch in der aktuellen Krisenzeit Orientierungspunkte sein und bleiben müssen.
Der Deutsche Musikrat ist der Bundesregierung für das vielfältige und nachdrückliche Engagement zur Linderung der Krisenfolgen dankbar. Wir fordern jedoch über das bisher Geleistete hinaus gemeinsam mit unseren Mitgliedern, zu denen auch die Dachverbände der Musikwirtschaft und die Verwertungsgesellschaften gehören, eine für die Branche geeignete Soforthilfe sowie ein Konjunkturprogramm, welches das Überleben der heterogenen, historisch gewachsenen und vielfältig vernetzten Infrastruktur sichert. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, und darin eingeschlossen die Musikwirtschaft, ist nicht nur einer der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren, sondern auch ein beispielloser Treiber kreativer Prozesse mit Auswirkungen auf das gesamte Kultur- und Wirtschaftsleben. Sie sollte daher auch und vor allem im Bundeswirtschaftsministerium Unterstützung finden.
Gerade in dieser Zeit der Umbrüche stellt sich verstärkt die Frage nach den Werten des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Was macht uns aus, und wie können wir die Werte und Normen des Grundgesetzes noch wirkungsvoller Alltag werden lassen? Neben ihrem Eigenwert können die Künste mit dazu beitragen, Neugierde auf das Unbekannte, das Fremde zu wecken und damit einen wesentlichen Beitrag zu einer der zentralen Herausforderungen gesellschaftlichen Zusammenhaltes leisten: Ängste in Neugierde zu verwandeln. Die Musikwirtschaft kann einen maßgeblichen Beitrag auf dem Weg zu einer neuen Normalität leisten.
Uns ist bewusst, dass die aktuellen ökonomischen Herausforderungen die Handlungsspielräume einengen. Für die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt erhoffen wir uns aber auch in Zukunft eine klare Prioritätensetzung für kulturelle Vielfalt. Dies umso mehr, als die Musikwirtschaft zeigt, wie die Kultur- und Kreativwirtschaft als Treiber von Innovation und gesellschaftlicher Transformation wirken kann. Dass hierfür belastbare Rahmenbedingungen - gerade im digitalen Raum - notwendig sind, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt.“
Unterschrieben ist der Offene Brief des Deutschen Musikrates von Prof. Martin Maria Krüger (Präsident Deutscher Musikrat), Prof. Jens Michow (Präsident Bundesverband der Konzertund Veranstaltungswirtschaft), Dr. Florian Drücke (Vorstandsvorsitzender Bundesverband Musikindustrie), Olaf Kretschmar (Vizepräsident Bundesverband Popularmusik), Birgit Böcher (Geschäftsführerin Deutscher Musikverlegerverband), Timo Feuerbach (Geschäftsführer Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren), Dr. Harald Heker (Vorstandsvorsitzender GEMA), Christian Ruoss (Präsident Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte), Guido Evers (Geschäftsführer GVL), Axel Ballreich (Vorsitzender Livemusikkommission Deutschland), Daniel Knöll (Geschäftsführer Society Of Music Merchants) und Marc Chung (Vorstandsvorsitzender Verband unabhängiger MusikunternehmerInnen).
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